Friedliche Revolution 1989
Widerstand beginnt mit der Gewissensentscheidung des Einzelnen. Damit er politisch wirkt, braucht er Räume. Er besetzt Räume, er benutzt Räume, er schafft Räume
Die evangelischen Gemeinden boten der demokratischen Opposition in der DDR immer wieder Raum, Schutz und Hilfe. Unsere drei Gottesdienstkirchen und die dazugehörigen damaligen Gemeinden haben in der Zeit vor, während und nach der friedlichen Revolution 1989 eine bedeutende Rolle für den Widerstand gespielt.
Zionskirche
Die Zionsgemeinde stellte 1986 der sogenannten Umweltbibliothek Kellerräume im Gemeindehaus in der Griebenowstraße zur Verfügung. Die Umweltbibliothek erwuchs aus der Friedens-, Umwelt und Dritte-Welt-Bewegung der DDR und wollte als halböffentliche Einrichtung Aufklärungsarbeit zu diesen und weiteren gesellschaftlich brisanten Themen leisten. Es wurde eine Präsenzbibliothek eingerichtet, und es wurden Lesungen, Ausstellungen sowie Konzerte mit regimekritischer Tendenz veranstaltet. Schließlich publizierte man die halblegalen „Umweltblätter“, die bis zum Mauerfall 1989 zur wichtigsten und am weitesten verbreiteten Zeitschrift der DDR-Opposition avancierten.
Vertreter der Staatssicherheit drangen in der Nacht vom 24. zum 25. November 1987 in die Räume der Griebenowstraße ein und verhafteten zwei Mitarbeiter der Umweltbibliothek. Ein Proteststurm aus dem ganzen Land und die Reaktion der internationalen Medien bewirkten die baldige Freilassung der Inhaftierten.
Golgathakirche
Bereits seit Anfang der 80er Jahre wurden in der Golgathakirche regelmäßige Friedensgebete abgehalten. 1987 fand in der Golgatha-Kirche ein Liederabend mit Stefan Krawczyk und Freya Klier statt. Im August 1989 wurde in den Räumen der Golgathagemeinde der Gründungsaufruf der sozialdemokratischen Partei in der DDR (SDP) vorgestellt.
Sophienkirche
Im Juni 1989 versammelte sich eine Protestdemonstration gegen die offensichtliche Fälschung der Wahlergebnisse in der Sophienkirche; auch in den folgenden bewegten Monaten blieb die Kirche offen für alle, die Bürgerrechte und Freiheit einforderten.
Unter dem Namen WIDERSTANDSRÄUME veranstaltete unsere Gemeinde zusammen mit dem Förderverein der Zionskirche Berlin im Jahr 2014 eine Reihe von Erzählsalons, Ausstellungen und Lesungen zur Rolle der evangelischen Kirche und der Opposition in der DDR.
Umweltbibliothek
In der DDR-Zeit bot die Zionsgemeinde ab 1986 Raum für eine oppositionelle Gruppe. Im Gemeindehaus in der Griebenowstraße wurde in einigen Räumen die sogenannte Umweltbibliothek eingerichtet.
Der „Friedens- und Umweltkreis der Zionsgemeinde“ war dem Staat aber ein Dorn im Auge und am 25. November 1987 durchsuchte die Stasi die Räume und nahm einige Mitglieder der Gruppe fest. Mahnwachen und Protestveranstaltungen in Zion gegen diese Aktion wurden jedoch zum Ausgangspunkt für landesweite Proteste. Das große Medienecho im westlichen Teil Deutschlands und im Ausland führte zur Freilassung der Inhaftierten.
Eine Fernsehdokumentation („Kennzeichen D“ des ZDF) vom November 1987 finden Sie hier.
Zur Störung der Arbeit in Zion, die sich auch weiterhin mit Mahngottesdiensten und Transparenten am Turm unbequem zeigte, wurde auf Betreiben der Stasi der Turm- und Eingangsbereich baupolizeilich gesperrt. Großveranstaltungen konnten wegen der fehlenden Fluchtwege nicht mehr stattfinden und wurden in die Gethsemanekirche verlegt.
Mehr über die Umweltbibliothek unter http://www.ub30.de.
Dietrich Bonhoeffer
An der Westseite der Zionskirche steht ein bronzener Torso, der von vorn an ein Kreuz und von der Seite an einen knienden Menschen erinnert.
Das Mahnmal „Für Dietrich Bonhoeffer“ des Bildhauers Karl Biedermann verweist auf die Jahre 1931/32, in denen der bedeutende evangelische Theologe an der Zionskirche arbeitete. Bonhoeffer war zu dieser Zeit Stadtsynodalvikar und übernahm den Gemeindedienst in der damals im Wedding gelegenen Gemeinde, die durch Tod und Krankheit zweier Pfarrer in personellen Notstand geraten war. Neben der Unterrichtstätigkeit hielt er Predigtgottesdienste und Taufen.
Dietrich Bonhoeffer, 25jährig, hochgebildet, weitgereist, übernahm eine außer Kontrolle geratene Konfirmandenklasse von 50 Jungen, meist Kinder von arbeitslosen Vätern. Um den Alltag der Jungen zu begleiten, mietete er in der Oderberger Straße 61 ein Zimmer. Die Klasse wurde am 13. März 1932 konfirmiert, viele von ihnen in Anzügen, deren Stoff Bonhoeffer gestiftet hatte.
Es war eine nachhaltige Erfahrung für den aus dem Professoren-Milieu im Grunewald stammenden Bonhoeffer, das soziale Elend im Berliner Norden kennengelernt zu haben. „Das ist so ungefähr die tollste Gegend von Berlin mit den schwierigsten sozialen und politischen Verhältnissen“, schrieb Bonhoeffer 1931 an einen Freund. Nach 1933 arbeitete Bonhoeffer in der kirchlichen Opposition und entschloss sich 1940 zum aktiven Widerstand gegen das Nazi-Regime. Er wurde im April 1943 inhaftiert. Nach dem Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1944 verschärfte sich die Haft.
Kurz vor Kriegsende, am 9. April 1945 wurden Bonhoeffer und seine Freunde im KZ Flossenbürg hingerichtet.
Kirche und Politik
Kirche und Politik stehen in einem Spannungsverhältnis. Die 10 Gebote und die Verantwortung für einen Staat: lässt sich das zusammenbringen?
Aus unserer Gemeindegeschichte heraus, die uns immer wieder in die Politik geworfen hat, stellen wir uns diese Frage bis heute.
Ist Kirchenasyl für Flüchtlinge verwerflich? Ist militärische Drohung unchristlich? Was machen wir mit den Gedenktafeln für die Gefallenen des 1. Weltkriegs? Dürfen wir Geld von Banken annehmen, wenn sie uns etwas spenden wollen? Wie sieht eine gerechte Wirtschaftsordnung aus?
In Predigtreihen, Ausstellungen, Diskussionsrunden und im praktischen Tun thematisieren wir immer wieder, was es bedeutet Christ zu sein in der Welt.
Juden und Christen
Teile unseres Gemeindegebiets waren vor der Nazizeit jüdisch geprägte Viertel. Hier hatte auch die Reformierte Jüdische Gemeinde mit der Neuen Synagoge an der Oranienburger Straße ein bedeutendes Zentrum.
Unsere Kirchengemeinde hat die Juden nicht gerettet. Antisemitismus war auch unter Christen weit verbreitet. Einige Juden haben sich in der Not taufen lassen. Auch diese Gemeindeglieder entkamen den Nazis nicht.
Das gute Zusammenleben von Christen und Juden zu fördern ist uns daher heute Vermächtnis und Auftrag.
Im Gemeindegebiet erwacht wieder jüdisches Leben: das Jüdische Gymnasium steht direkt neben der Sophienkirche, am Arkonaplatz hat sich eine orthodoxe jüdische Gemeinde angesiedelt mit Synagoge, Kindergarten und koscheren Geschäften, und viele Israelis leben und arbeiten in Mitte.
Pfarrer Hans Simon verstorben
Am 7. September ist der langjährige Pfarrer der Zionskirche, Hans Simon, im Alter von 84 Jahren verstorben. Pfarrer Simon war von 1984 bis 1997 an der Zionskirche tätig und prägte die Gemeinde in dieser Zeit des Umbruchs maßgeblich. Voll Hochachtung erinnern wir uns an seinen Mut, den jungen Menschen der Umweltbibliothek in den Kellerräumen des Pfarrhauses einen Ort für ihre kreative und widerständige Arbeit zu geben. Dankbar sind wir für all die Begleitung und Unterstützung, die Menschen in der Gemeinde der Zionskirche durch Pfarrer Simon erfahren haben. Sein leidenschaftlicher Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit ist uns Ermutigung und Mahnung.
Im Gedenken an Pfarrer Hans Simon findet am Montag, 28. September 2020 um 17:00 Uhr eine Gedenk-Andacht in der Zionskirche statt.