Sehen lernen durch Veränderung
Bis 13. März in der Sophienkiche

Öffnungszeiten: täglich 13 bis 18 Uhr, sonntags ab 10 Uhr

Ein Blick in die Sophienkirche. Was sagt sie uns? Was ist uns wichtig? Was fremd? Was scheint zu viel? Was fehlt? SchülerInnen der Evangelischen Schule Berlin-Zentrum (ESBZ) haben in einem Unterrichtsprojekt künstlerische Interventionen für die Kirche entwickelt.

BILDERSTURM_Kirche2Sehen lernen durch Veränderung

Klaus-Martin Bresgott: Am Anfang stand das Sehen und Entdecken des Kirchenraumes, das Kennenlernen der europäischen Kunstepochen im Kontext der sakralen Architektur vor Ort sowie der eigene Umgang mit Kunst und deren Wirkung. Das Praxis-Projekt »Bildersturm« schließlich diente der Vergewisserung durch Veränderung. Es ist die künstlerische Antwort der Schülerinnen und Schüler auf die These »Reformation ist, wenn wir die Welt in Frage stellen«.

BILDERSTURM_Mandala4Mandalas

Ida Pöhler und Johanna Winkelmann: Die Mandalas greifen das in der Kirche mehrfach auftretende Symbol der Strahlen auf. Sie stehen für das Wirken des Heiligen Geistes. Wir denken, dass die Strahlen weiter reichen und jedem nahe kommen können. Darum haben wir die Strahlen vom Himmel auf die Erde geholt, mitten unter uns. Sie liegen gleich am Eingang – so, dass jeder sie wahrnehmen und sich angesprochen fühlen kann.

BILDERSTURM_ScheibeKugelkreuz und Scheibe

Tina Josephin Bresgott: Neben dem Kugelkreuz steht eine goldene Scheibe. Die Erde ist rund, vor unseren Augen ist sie eine Scheibe – ein Platz für Gedanken. An ihrem Rand stilisieren Silhouetten verschiedener Städte die Schönheit unserer Welt. Gold symbolisiert ihre Einzigartigkeit. Das Kreuz geht durch die Mitte. Seine Nägel sind Zeichen der Passion von uns allen. Hier haben die Gedanken Platz, die uns kommen, wenn wir eine Kerze anzünden. Die Gedanken, die jeder mitbringt und hier lässt, sind einzigartig wie die Welt.

BILDERSTURM_Fluegelwesen1Flügelwesen

Antonia Felsmann, Nora Jasner und Florian Patzke: Der Heilige Geist hat große Bedeutung. Aber seine Sinnbilder sind fern, weit über uns. Um ihn uns näher zu bringen, haben wir sein Sinnbild der Taube in Form vielfarbiger Flügelwesen herabfliegen und sich zwischen uns auf die Bänke setzen lassen. Heiliger Geist ist für uns Freiheit und Individualität der Seele, Raum für Eigenheit und Persönlichkeit. Deshalb haben wir mit bunten Folien gearbeitet. Die Wärme der Farben und die Leichtigkeit des Materials laden ein, daneben Platz zu nehmen und diese Freiheit zu fühlen.

BILDERSTURM_SpiegelSpiegel

Lea Magdalena Christa, Fee Martin und Ismene Niemann: Die Spiegel dienen dem Sehen in mich und meine Gedanken. Sie sind schonungslos offen. Wer davor steht, steht sich gegenüber, sieht auf Texte und in sein Gesicht. Die Texte stammen aus verschiedenen Songs und der Bibel. Sie reflektieren Gedanken über die eigene Existenz. Sie durchkreuzen den Alltag und fragen nach dem Sinn des Lebens. Sie fragen auch nach Gott – nach Macht und Ohnmacht. Ihr Licht reflektiert die Flügelwesen und alles Drumherum. Es vergrößert den Raum, in dem es ihn erhellt wie Sterne.

BILDERSTURM_BlixaBargeldBlixa Bargeld

Kaspar Tosin: Einfühlungsvermögen und Phantasie sind die wichtigsten Eigenschaften der Menschen, sie sind der Ursprung der Liebe. Ich bewundere Religion für ihre Phantasie, die die Menschen zum Glauben führt. Aber warum haben Gläubige nicht die Kraft, ihren eigenen Glauben zu kreieren? Kann nicht freie Phantasie Sinn des Lebens sein? Ist Religion nicht Produkt menschlicher Überforderung und Angst? Schränkt Religion nicht diese freie Welt ein? Verstümmelt Religion nicht die individuelle Phantasie, indem sie sie mit den immer gleichen Bildern überspielt? All dem stelle ich die Kraft der Texte Blixa Bargelds gegenüber.


BILDERSTURM_PultEichenpult

Klaus-Martin Bresgott und Matthias Hartig: Anstelle des Pultes aus Gusseisen steht eines aus Eiche, das Teil eines Fachwerks war, das bis 2013 einen mecklenburgischen Kirchturm trug, taxiert auf 1497. Der christliche Glaube ist älter als diese Kirche. Er ist auch älter als die Reformation. Er gründet im Buch der Bücher, aus dem vom Pult gelesen wird. Der alte Stamm ist Spiegel der Geschichte, durch die die Zeit zieht und offenbart zugleich die immerwährende Gegenwart der Frage nach und der Rede über Gott.

 

BILDERSTURM_Fluegelwesen2BILDERSTURM verbindet Schüler aus Kursen der Oberstufe mit einer Kirchengemeinde. Es ist ein Pilotprojekt des Kulturbüros der EKD und findet bundesweit in drei Gemeinden und Schulen statt: in Essen, Frankfurt/Main und Berlin.

Im Mittelpunkt steht für alle das Sehen und Entdecken des Kirchenraumes sowie der eigene Umgang mit Kunst im sakralen Raum. Die Veränderungen ermöglichen eine veränderte Wahrnehmung der Aussage des Kunstwerkes wie des ganzen Raumes. Vorhandenes kommt durch Entzug oder Wechsel mit alternativen Werken in ein neues Licht. Damit vollziehen Schule und Gemeinde bewusst ein Stück Reformation, die beginnt, wenn wir unsere Umgebung infrage stellen. BILDERSTURM bedeutet Kunst im Kontext.

In einem Workshop diskutierten Schüler und Gemeinde die Kunst ihrer Kirche. Was sagt sie aus? Was sagt sie uns? Was ist uns wichtig? Was fremd? Was scheint zu viel? Was fehlt? Parallel entwickelten die Schüler, ein begleitender Kunsthistoriker und ein Künstler im Unterricht künstlerische Interventionen für die Kirche. Sie ersetzen oder erweitern Kunstwerke der Kirche in deren Kontext. Am Ende des Projektes kommt alles zurück an seinen Platz.

Das Sehen, Fragen und Reflektieren hat im Profilkurs Kunst/Deutsch Klasse 12 der Evangelischen Schule Berlin Zentrum (ESBZ) in der Wallstraße bereits im Oktober begonnen. Im Januar luden die Schüler und Künstler die Gemeinde zum gemeinsamen Workshop in die Sophienkirche ein.

Bis zum 13. März 2016 lädt die Kirche im veränderten Antlitz zu Diskussion und neuem Sehen ein.

Fotos: Andreas Schoelzel